Schuld daran ist die Sächsische Gemeindeordnung. Dort heißt es in in § 40 unter anderem, dass über den wesentlichen Inhalt der Verhandlungen des Gemeinderates eine Niederschrift zu fertigen ist. Sie soll die Namen der anwesenden Stadträte, Gründe der Abwesenheit, Gegenstände der Verhandlung in den Sitzungen, Abstimmungs- und Wahlergebnisse und den Wortlaut von Beschlüssen enthalten. Schließlich sind diese Niederschriften von Bürgermeister, zwei Stadträten und dem Schriftführer gegenzuzeichnen.
Darüber gab es in den letzten Ratssitzungen unserer schönen Stadt Pulsnitz regelmäßig Streit. Aus meiner Sicht kein Wunder, denn die Formulierung „wesentlicher Inhalt“ lässt in unserem Stadtrat die Interpretationsbreite von 18 Personen (Bürgermeisterin und 17 Stadträte) zu. Jedesmal zu Beginn einer Stadtratssitzung wurde viel Zeit dazu verwendet, um eine von allen akzeptierte Fassung herzustellen. Wenig überraschend, denn schon die Schreibkraft, die den Mitschnitt in eine Niederschrift überträgt, soll entscheiden, was ihr in diesem „wesentlich“ erscheint. Nach Aussagen unserer Bürgermeisterin wird diese Niederschrift von ihr dann nochmals redigiert und danach bekommen die Stadträtinnen und Stadträte den Text vorgelegt. Eine arbeitsintensive Prozedur. Die Krux besteht aber darin, dass Fehler- und Kontextstreitigkeiten wegen der oben angeführten Gründe unweigerlich entstehen müssen.
Einige Stadträte hatten sich deshalb Gedanken gemacht, ob man dieses Prozedere nicht zeitsparender organisieren könnte. Da für alle Sitzungen vollständige Mitschnitte vorliegen, lag der Gedanke nahe, diese archivieren zu lassen und auf Niederschriften zu verzichten. Schließlich liegen zu allen Sachanträgen und Beschlussfassungen im Einzelnen bereits Dokumente und Änderungsanträge vor. Wer von den Gemeindevertretern möchte, kann eine ausdrückliche Protokollerklärung von sich geben oder eine namentliche Abstimmung verlangen. Und wer von den Gemeindemitgliedern möchte, könnte sich – zumindest für den öffentlichen Teil – den Mitschnitt nochmal anhören…
Nach Aussage unserer Bürgermeisterin ist diese Verfahrensweise auch durch gemeinsamen Stadtratsbeschluss nicht möglich. So bleibt, um den Streit zu schlichten, eigentlich nur noch die vollständige Niederschrift der Mitschnitte übrig.
Schade eigentlich, denn die Verwaltung hat auch so genug Arbeit. Doch da die Stadträte, nach Interpretation der herrschenden Auslegung der Sächsischen Gemeindeordnung (SGO), ohnehin Teil der Exekutive sind, ist es wohl am Ende unwichtig, wie die Ratsdamen und Ratsherren darüber entscheiden würden.
Ich persönlich kann diese Auslegung nach § 35 der SGO nicht nachvollziehen. Wird doch im übrigen der Darlegung von „Unabhängigkeit und der Ehrenamtlichkeit…“ der Ratsmitglieder in der gesamten SGO breiter Raum eingeräumt.
Faktisch sind die frei gewählten Ratsmitglieder ungefähr genau so unabhängig, wie die Bürgermeisterin von den Finanzierungsrichtlinien des Freistaates, den Haushaltsregeln, dem Tarifvertrag oder dem Sächsischen Personalvertretungsgesetz.
Christian F. Schultze
AfD-Stadtrat, 17.02.2020