Sehr geehrte Frau Lüke,
Ihre Stellungnahmen mündlich in der Ratssitzung vom 13.10. d.J. wie auch schriftlich haben wir zur Kenntnis genommen.
Ihre nachträglichen Äußerungen und Erklärungen bezüglich Ihrer Weigerung, den gemeinsamen Brief des Landrates und der Bürgermeister des Bautzener Landkreises mit zu unterzeichnen, wirkt in erster Linie wie eine Eigen-PR-Maßnahme.
Ihre Haltung wirft außerdem die Frage auf, ob Sie Ihre Argumente im SSG, in der Bürgermeisterkonferenz und gegenüber dem Landrat nachhaltig genug vorgetragen haben.
Sofern Sie Ihre Argumente für stichhaltig genug halten, sollten Sie nun umgehend selbst aktiv werden und Ihrerseits einen „Brandbrief“ auf den Weg bringen, um Ihrer in Ihrem Diensteid enthaltenen Pflicht, für die Bürger Ihrer Wahlkommune jeglichen Schaden abzuwenden, gemäß Ihren formulierten Einwendungen tatsächlich Genüge zu tun.
Bitte geben Sie Ihren Brief an den Bundeskanzler zeitnah unserem Stadtrat zur Kenntnis. Wir werden ihn gern veröffentlichen.
AfD-Fraktion im Stadtrat, 25.102022
E-Mail der Bürgermeisterin vom 09.10.2022:
Sehr geehrte Damen und Herren Stadträte, sehr geehrte Interessierte,
in den letzten Tagen wurde der sog. „Brandbrief“ des Landkreises an den Bundeskanzler zur Auswirkungen der Entwicklung auf dem Energiemarkt versandt sowie veröffentlicht (vorsorglich in der Anlage beigefügt). Da fast alle Bürgermeister des Landkreises dieses Schreiben des Landrats unterzeichnete, fiel entsprechend stark auf, dass meine Unterschrift fehlte. Auf verschiedene Art und Weise wurde ich darauf angesprochen und angesichts des Umfanges des Interesses halte ich es für zielführend, Ihnen bereits vor der Stadtratssitzung am kommenden Donnerstag eine Erläuterung meiner Entscheidung zu übermitteln. Gerne können Sie diese auch weitergeben.
Sowohl inhaltlich wie auch von Form sowie Art und Weise des Zustandekommens des Briefes und seiner Unterzeichnung kann ich das Schreiben nicht vollumfänglich mittragen und die Gründe, es nicht zu unterzeichnen, überwogen.
Die Bürgermeister wurden am Freitagmittag (23.09.2022) vom Landrat über das geplante Schreiben informiert mit folgendem hervorgehobenen Hinweis „Ich bitte Sie dringend, den Inhalt des Schreibens noch nicht weiter zu verwenden, veröffentlichen oder zu verbreiten!“ Mit Verweis auf die 57 Städte und Gemeinden wurde vom Landrat um Verständnis gebeten, „…. dass wir keinen Abstimmungsprozess zu den Inhalten starten wollen.“ In der Vergangenheit wurde es in vergleichbaren Fällen durchaus so gehandhabt, dass zumindest die Vertretung der Bürgermeister, die als Kreisvorstand des Sächsischen Städte- und Gemeindetages des Landkreises Bautzen vorhanden ist, einbezogen wurde. Dies war hier nicht der Fall. Am darauffolgenden Mittwoch (28.09.2022) wurde das Schreiben in einer Unterschriftsmappe während der Bürgermeisterkonferenz durch die Reihen gegeben und die Unterschriften eingesammelt. Landrat Udo Witschas wiederholte, dass eine Diskussion über den Inhalt nicht möglich sei und ging in der Folge auf eine kritische Anmerkung eines meiner Kollegen zu dieser Vorgehensweise auch nicht ein. Nachdem das Schreiben durch alle Sitzreihen gegangen war, wurden Nichtunterzeichner durch einen Mitarbeiter des Landratsamtes persönlich angesprochen und die Unterschrift nachgefordert. Ob dies viele oder wenige betraf kann ich nicht beurteilen, da dies in der Kaffeepause erfolgte. Ich wurde jedenfalls gedrängt, zu unterzeichnen. Auf meinen Versuch hin, zu erläutern, worin ich die Probleme sehe, wurde mir eine Diskussion verweigert.
Sie können erkennen, dass ein hohes Maß an Gruppendruck herrschte. Das ist sicherlich manchmal der Fall und etwas, mit dem man immer wieder mal konfrontiert wird. Ich sehe dies hier jedoch kritisch, befinden wir uns doch im Kernbereich demokratischen Handelns. Aus einem Gespräch mit einem neu gewählten Kollegen weiß ich, dass dieser sich jedenfalls angesichts der Gesamtsituation äußerst unwohl fühlte und der Ansicht war, er müsse unterzeichnen.
Zum Inhalt:
Es werden fünf Forderungen explizit genannt – zwei von ihnen trage ich inhaltlich nicht mit. Eine aus meiner Sicht zentrale dagegen fehlt:
Das Schreiben wurde von Bürgermeistern unterzeichnet, die alle zuvorderst ihren Kommunen gegenüber verpflichtet sind. Die fünf Forderungen beziehen sich auf Kraftwerke, Energieversorger, das Insolvenzrecht, die Wohnungswirtschaft sowie einen Energiepreisdeckel. Keine einzige Forderung bezieht sich jedoch auf unsere Kommunen selbst, auf die Situation unseres Gemeinwesens. Es sind nicht nur die direkten Energiekosten, die unsere Kommunen finanziell an den Rand der Leistungsfähigkeit bringen und darüber hinaus. Zum Beispiel wird die in der Folge der Teuerung gerade in der Diskussion befindliche massive Anhebung der Tarifgehälter unsere Personalkosten für Kita-Mitarbeiter und die Verwaltung dauerhaft existentiell belasten. Der drohende Anstieg der Kreisumlage, der die Teuerungen aus Energie, Personal etc. beim Landkreis unmittelbar auf die Kommunen durchreicht, belastet zusätzlich. Wie kann es sein, dass Bürgermeister in ihrem Schreiben nichts für ihre Kommunen fordern? Wir können unseren Bürgern schon jetzt nicht mehr die Leistungen zukommen lassen, die wir ihnen gerne zukommen lassen würden (Sport, Vereinsarbeit, Straßensanierungen etc.), das wird sich verschärfen. Und wir schweigen dazu? Ich verstehe es nicht.
Im Schreiben wird ein Energiepreisdeckel gefordert. Warum beschäftigen wir uns mit Symptomen, statt ein Änderung an der Wurzel des Übels zu fordern: Das Prinzip des „Merit order“, das der Energiepreisbildung zu Grunde liegt, wird nicht thematisiert. Es bedeutet vereinfacht gesagt, dass der Energie (Strom-) Preis sich immer nach dem teuersten Bestandteil, der zu seiner Erzeugung verwendet wird, richtet. Damit sollten früher alternative Energien gefördert werden. Heute bestimmt der Gaspreis die Energiekosten und die Erzeuger alternativer Energien wissen vor unerwarteten Gewinnen wegen dieses Prinzip vor Lachen nicht mehr, wohin mit dem Geld. Wir brauchen keine Gewinnabschöpfung, Gaspreisdeckelung etc. im geforderten Umfang, wenn wir dieses überlebte Prinzip anfassen. Die Lobbyarbeit der Energiewirtschaft hat hier meinem Eindruck nach Ganzes geleistet und wir trauen uns nicht, an dieses Prinzip heranzugehen. Warum nicht?
Es ist vielen bekannt, dass meine berufliche Heimat im Insolvenzrecht liegt. Die pauschale Forderung der Anpassung des Insolvenzrechts kann ich – auch vor dem Hintergrund meiner Kenntnisse in diesem Bereich – nicht mittragen. 1999 wurde die Konkursordnung durch die Insolvenzordnung abgelöst. Ziel war, Unternehmen nicht mehr vorrangig zu zerschlagen, sondern fortzuführen. Die Regelungen des heutigen Insolvenzrechts geben genug Möglichkeiten, Lösungen für die derzeitige Situation zu finden. Ein Sicherungsfonds wäre eine davon. Denn wir dürfen eines nicht vergessen: So wie es in der Corona-Pandemie auch immer andere Krankheiten gab, gibt es auch jetzt andere Gründe, warum Firmen nicht überlebensfähig sind. Wir müssen darauf achten, dass unsere Unternehmer vor eigenen Folgeinsolvenzen geschützt werden, wenn ihre Auftraggeber plötzlich aus anderen Gründen als der Energiekrise ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Was ist mit „Anpassung des Insolvenzrechts“ gemeint, hektische Änderungen eines wohldurchdachten Gesetzes helfen nicht, die Forderung ist unkonkret und unnötig.
Neben diesen drei wesentlichen sachlichen Gründen, die mich bewogen, nicht zu unterzeichnen, kommt hinzu, dass ich mir von einem solchen Schreiben nichts erhoffe. Es wurde vom Landratsamt als „Brandbrief“ bezeichnet. Ich finde ihn dafür mit seinen zwei engbeschriebenen Seiten zu lang, zu wenig knackig, zu wenig pointiert. Er ist am Ende zu nett, denn die harte Realität hier vor Ort ist offenbar immer noch nicht in Berlin angekommen und ich glaube nicht, dass wir mit den Zeilen dieses Briefes diese Härte ausreichend in den offensichtlichen Elfenbeinturm der Bundespolitik transportieren können.
Deshalb stehe ich nicht hinter diesem Brief und habe ihn nicht unterzeichnet. Mir war immer klar, dass es zu der jetzigen Reaktion auf meine Entscheidung kommen kann, aber der reine öffentliche oder Gruppendruck war für mich noch nie ein guter Ratgeber, wenn Sachargumente eine andere Sprache sprachen.
Diesen Freitag anlässlich der Ehrung der Kameraden der Feuerwehr für ihre langjährigen Dienste hatte ich Zeit, Herrn Witschas im wesentlichen meine Gründe darzulegen und wir haben uns über den Brief ausgetauscht. Damit ist im Innenverhältnis zum Landrat die Angelegenheit geklärt. Sollten Sie angesprochen werden, so können Sie gerne den Inhalt dieses Schreibens oder dieses selbst weitergeben.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Lüke, Bürgermeisterin